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Göttinger Tageblatt Mai 2019
Kammermusik mit himmlischen
Längen
Dem Komponisten Franz Schubert sind die dritten ClavierTage
Göttingen gewidmet. Am Donnerstag ist das viertägige Festival mit einem
Kammerkonzert in der gut besuchten Reformierten Kirche eröffnet worden
Initiator der Clavier-Tage ist der Göttinger Pianist Gerrit Zitterbart,
Professor an der Musikhochschule in Hannover, der seit sieben Jahren in seinem Clavier-Salon
am Stumpfebiel mehr als tausend Konzerte veranstaltet hat. Warum Clavier mit C?
Zitterbart hat sich auf historische Aufführungspraxis spezialisiert: Unter
Klavier mit K versteht man üblicherweise Instrumente moderner Bauart, aber
nicht Clavichorde, Hammerflügel oder Tafelklaviere. Diese Instrumente älterer
Bauart sind mit der Bezeichnung Clavier gemeint.
Wer mutmaßt, Konzerte mit historischen Instrumenten seien nur eine Marotte
von und für Spezialisten, irrt. Die Unterschiede sind auch für den nicht
vorgebildeten Laien sofort wahrzunehmen: Musik, die um 1800 komponiert worden
ist, hat auf einem modernen Konzertflügel einen ganz anderen Klang als auf
Instrumenten ihrer Entstehungszeit.
Zitterbart benutzt bei den Schubert gewidmeten Clavier-Tagen einen Flügel,
den der Wiener Klavierbauer Matthias Müller 1836 hergestellt hat, eine Leihgabe
der hannoverschen Musikhochschule: viel, viel durchsichtiger im Klang als ein
moderner Steinway, frei von jeglicher Dumpfheit, silbrig im Diskant, wunderbar
für das Zusammenspiel mit Streichern, die nirgends vom Klavierklang verdeckt
werden. Für einen großen Konzertsaal hätte dieser Flügel vielleicht zu wenig
Power, Rachmaninow sollte man beispielsweise nicht unbedingt auf diesem
Instrument spielen wollen. Aber für Schuberts Musik ist er ideal.
Zitterbart musizierte in diesem Konzert gemeinsam mit zwei hannoverschen
Musikern: der Geigerin Friederike Starkloff, Erste Konzertmeisterin bei der
NDR-Radiophilharmonie Hannover, und dem aus Russland stammenden Cellisten Leonid
Gorokhov, der seit 2008 an der Musikhochschule Hannover unterrichtet. Den Abend
eröffneten die drei Musiker mit Schuberts Notturno Es-Dur für Klaviertrio und
zeigten schon in diesem gesanglich schwelgerischen Stück ihre feinen lyrischen
Qualitäten.
Zwei Duosonaten Schuberts folgten, die 1816 komponierte Violinsonate a-Moll
und die in gleicher Tonart stehende Sonate für Arpeggione und Klavier, die,
weil das von Schubert vorgesehene Instrument längst nicht mehr gebaut wird,
üblicherweise auf dem Violoncello gespielt wird. Der Part liegt deutlich höher
als in traditionellen Cellostücken – doch wenn ein virtuoser Solist diese hohen
Lagen mit einer solchen tänzerischen Leichtigkeit erklimmt, wie es Gorokhov an
diesem Abend tat, ist der Genuss vollkommen. Nicht minder anmutig und
leichtfüßig, aber auch durchaus energisch und markant interpretierte Starkloff
die Violinsonate. Beiden Streichern war Zitterbart ein ausgesprochen
aufmerksamer, gleichberechtigter Partner, der sich nirgends unangemessen in den
Vordergrund drängte.
Den Abend krönte Schuberts großes Es-Dur-Trio, eine Huldigung an Beethoven,
der im Jahr vor der Komposition dieses Werks gestorben war. Mit einer
Spieldauer von einer Dreiviertelstunde ist dieses Trio schier unendlich, doch
wird man der Musik angesichts der Ideenfülle und der zauberhaften Melodik Schuberts
nirgends überdrüssig.
Schumanns Wort von den „himmlischen Längen“ bei Schubert bewahrheitet sich
in diesem Werk aufs Schönste. Begeistert applaudierten die zahlreichen Zuhörer,
angetan von Schuberts Musik, den hohen kammermusikalischen Qualitäten der
Mitwirkenden und dem Charme des Ortes, der diesem Konzert einen zugleich
intimen und großzügigen Rahmen verlieh.
Michael Schäfer