Presse 2023
Beethoven mit großer Reife gespielt
Saskia Niehl und Ji Hwan Hong mit zwei
Violinsonaten von Beethoven
Die „Violinsonaten“ von Ludwig van
Beethoven sind für „Pianoforte und Violine“ geschrieben. Die Violine wird also
keineswegs „nur“ begleitet, sondern beide Instrumente sind gleichberechtigt. So
haben es Saskia Niehl (Violine) und Ji Hwan Hong (Klavier) auch aufgefasst. Im
Clavier-Salon von Gerrit Zitterbart haben sie sich die Sonate A-Dur op. 47
(»Kreutzer-Sonate«) und die Sonate G-Dur op. 96 vorgenommen.
Die
»Kreutzer-Sonate« gehört längst zum Repertoire einer Violinist:in. In der
Entstehungszeit jedoch sprengte die Musik jeglichen Rahmen – wie die zur selben
Zeit komponierte Sinfonie Nr. 3 »Eroica« ebenfalls. Die Sonate ist mit einer
Dauer von 40 Minuten ungewöhnlich lang und in ihrer Virtuosität stellt sie hohe
Ansprüche sowohl an die Violinstimme als auch an den Klavierpart.
Geschrieben hat
Beethoven die Sonate für den 25jährigen George Bridgetower. Beethoven selbst
war zu dem Zeitpunkt 33 Jahre alt und saß bei der Uraufführung selbst am
Klavier. Erst zur Drucklegung des Werkes wurde die Sonate dem französischen
Violinvirtuosen Rodolphe Kreutzer gewidmet.
Saskia Niehl und
Ji Hwan Hong sind also ungefähr in demselben Alter wie die Künstler zur
Uraufführung. Mit großem Ernst nahmen sie die Herausforderung an, das war schon
in den ersten Takten deutlich, die zunächst nur der Violine vorbehalten sind.
Weite Akkorde und dunkle Harmonien bestimmen den ersten Satz. Mit der milderen
Stimmung des zweiten Satzes wurden auch die Mienen von Saskia Niehl und Ji Hwan
Hong milder. An der Mimik der Spieler:innen wurde aber vor allem die intensive
Auseinandersetzung der beiden mit der Musik deutlich. Und das hat der
Wiedergabe ausgesprochen gut getan. Die berühmte »Kreutzer-Sonate« wurde schon
extrovertierter gespielt, vermutlich vom Bridgetower selbst auch, wenn man den
Berichten Glauben schenken darf.
Es ist aber der
nach innen gekehrte Blick, der den Charakter dieser Musik trefflich beschreibt.
Und so zeigen Niehl und Hong trotz ihres noch jungen Alters eine große Reife in
der Wiedergabe.
Das tut auch der
Sonate in G-Dur op. 96 gut. Sie ist fast zehn Jahre später entstanden als die
Sonate op. 47. Diese Sonate ist deutlich kantabeler, vielleicht sogar etwas
schlichter. Saskia Niehl und Ji Hwan Hong konnten in ihrer Interpretation die
Feinheiten der Komposition hörbar machen. Gerade in den Variationsfolgen des
letzten Satzes wird deutlich, wie gut die Violinistin und der Pianist
aufeinander eingespielt sind: beide Instrumente stehen in einem ständigen Dialog,
immer wieder werden Themen und Linien, aber auch Ausdruck und Dynamik an den
oder die Partner:in übergeben.
So war der Abend
im Clavier-Salon ein großer Genuss, den das Publikum entsprechend mit
langanhaltendem Beifall belohnte.
Jens Wortmann
Nun spielte Gerrit Zitterbart die Sonate zum ersten Mal am Abend, zuerst auf einem englischen Squarepiano von John Broadwood & Sons von 1821, dem Jahr der Fertigstellung der Sonate. Der Klang des Klaviers war hell und kraftvoll, andererseits allerdings auch etwas schnarrend. Den klanglichen Charakteristika des Instruments geschuldet schien das Klavier einen nur begrenzten Umfang dynamischer Bandbreite zu besitzen, was die sanfteren Passagen beinahe nicht sanft genug werden ließ. Doch wie Herr Zitterbart anfangs erklärt hatte, war dies vermutlich Beethovens Intension. Es ging ihm darum, rohe Emotion und volles Ausschöpfen der musikalischen Möglichkeiten des Instruments auszukomponieren.
Der ersten Darbietung der Sonate folgten eine Erklärung und Analyse des Stückes, gespielt auf einem Carl Bechstein Flügel aus Berlin von 1890 mit Englischer Mechanik. Bereits durch die ersten gespielten Noten wurde klar, wie sehr die Gegebenheiten des ausgewählten Instruments den Klang eines Stückes beeinflussen können. Der Klang war klarer, weniger schnarrend, und sanfter. Es war im Timbre deutlich zu hören, dass dies der Klang eines moderneren Flügels war. Auf diesem Instrument gab Gerrit Zitterbart nun einen analytischen Einblick in die Sonate. Er erklärte, wie das Quarten Thema des ersten Satzes sich im Fugenthema des letzten Satzes wiederspielte. Wie dieses Thema sich tatsächlich durch alle Sätze der Sonate zog. Nicht nur durch den ersten Satz mit seiner simplen, doch sehr effektiv eingesetzten, akkordischen Melodieführung und seiner vielfältigen Verwendung und Entwicklung von Ideen, sondern auch durch den zweiten Satz, das Scherzo, das von unkonventioneller Rhythmik geprägt war, den klagenden dritten Satz und wie es schließlich zum Fugenthema wurde. Und schließlich erklärte er, wie sich in den Höhen und Tiefen des vierten Satzes scheinbar Beethovens stetiger Kampf mit schweren Krankheiten widerzuspiegeln schien. Damit endete der erste Teil des Abends.
Der Pause folgte dann nach einer kurzen Darbietung des Einflusses der Sonate auf spätere Kompositionen - sowohl auf Beethovens eigene als auch auf die anderer Komponisten - die zweite Darbietung der Sonate, diesmal auf einem Wiener Flügel aus unbekannter Manufaktur von 1825. Und abermals wurde deutlich, wie sehr das Instrument den Klang eines Stückes beeinflussen konnte. Der Klang war nuancierter und sanfter, der dynamische Ambitus größer, die Basstöne voller und die sanften Passagen emotional geladener. Des Weiteren war die klangliche Transparenz vor allem in der Fuge des letzten Satzes deutlich höher, was die einzelnen Stimmen der Fuge deutlicher hervortreten ließ und dadurch ein gänzliches klangliches Erlebnis bildete.
Rundum bildete das Konzert nicht nur einen spannenden geschichtlichen Einblick in das Schaffen Beethovens, sondern auch eine faszinierende Lektion über die Welt der Klaviermechanik.
Sophie Schultze
Musik mit allen Sinnen
Auf dem Programm stand Musik von Joseph Haydn, Carl Nielsen und Felix Mendelssohn Bartholdy. Joseph Haydn (1732-1809) komponierte über 70 Streichquartette, mit denen er diese wichtigste Gattung der Kammermusik gleichsam begründet hat. Mit dem sogenannte „Reiterquartett“ aus dem Opus 74 starteten die vier jungen Musikerinnen in den Abend - und zeigten sofort ihr großes musikalisches Können. Von der typischen Leichtigkeit der Musik Haydns ist hier nur noch wenig zu spüren, diese 1793 entstandenen Quartette zeigen eher symphonische Züge, die Musik klingt schon fast romantisch. Zugleich gibt der Komponist aber den Interpreten Raum zur Entfaltung. Vor allem die erste Geige mit Saskia Niehl kann im wunderschönen Largo ihr großes Können an Ausdruck und Technik beweisen. Ihre Kolleginnen an den anderen Pulten stehen ihr um nichts nach.
Geblieben ist in dieser Musik Haydns Vorliebe zu Überraschungen: unerwartete Tonartwechsel, Modulationen und Wechsel der Klangfarben, Dissonanzen sind immer wieder zu hören.
Dieses Überraschungsmoment findet sich auch in der Musik von Carl Nielsen (1862-1918) wieder. Der dänische Komponist ist eher für seine Lieder und für die sechs Sinfonien bekannt. Aber zu seinem Werk gehören auch vier Streichquartette, von denen das vierte in F-Dur op. 44 auf dem Konzertabend des Nerida-Quartetts stand. „Wir müssen sehen, dass wir von den Tonarten wegkommen“, wird Nielsen zitiert. Davon hat er in diesem Quartett reichen Gebrauch gemacht. Daher klinge diese Musik „bisweilen etwas seltsam“, wie Saskia Niehl zur Einführung anmerkte. Wenn aber diese Tonartwechsel oder Tonart-Auflösungen sowie die vielen anderen Überraschungsmomente derart überzeugend gespielt werden, wirkt die Musik überhaupt nicht „seltsam“, sondern vielmehr leicht, entspannt und beschwingt. Hier atmet haydnscher Geist, fast mehr als in Haydns spätem Quartett.
Zum Abschluss erklingt das Streichquartett Nr. 3 D-Dur op. 44 Nr. 1 von Felix Mendelssohn Bartholdy (1862-1847). Dieses 1838 entstandene Werk ist eigentlich ein verkapptes Violinkonzert. Im ersten und im Trio des Menuetts dominiert eindeutig die erste Violine. Bescheiden moderierte Saskia Niehl das Stück an: „Wir mögen vom heutigen Programm vor allem den dritten Satz dieses Streichquartetts. Denn hier trete die zweite Violine in den Vordergrund“. In der Tat, das tut sie, und Nevena Tochev gestaltete ihren Part im Andante expressivo wunderbar elegisch.
Beachtenswert im Zusammenspiel aller vier Musikerinnen ist das Zusammenspiel. Es ist perfekt aufeinander abgestimmt, immer wieder werden Themen und Einsätze an die Kollegin übergeben - und immer wieder huscht ein lächelnder Blick von einer zur anderen. Es ist schön, dass der intime Raum des Clavier-Salons die Möglichkeit gibt, die Musik mit allen Sinnen zu erfahren.
Göttinger Kulturkalender Januar 2023
Entdeckungen mit kleinen Schätzen
Zitterbart macht auch bei der Sammlung von Bagatellen op. 126 hellhörig für den Ideenreichtum des Komponisten, der weiter pulsierte nur eben anders als 15 Jahre zuvor, als sein Gehör ihm den Kontakt zur Außenwelt noch nicht verweigerte. Ein Thema wird angespielt, wieder verworfen oder mit einem neuen Thema kontrastiert. Es gibt impulsive Übergänge zwischen dramatisch expressiven Passagen und zarten Klangfiguren und melodischen Fantasien. Zitterbart merkt an, dass ihnen das Gefühl von Sonatenkomplexität und die Stringenz in der Entwicklung fehle, um dann an seinem historischen Wiener Flügel mit den Bagatellen aus einen faszinierend vielfarbigen Klangpanorama zu schöpfen. Das »Andante con moto« wird zur anmutigen Momentaufnahme, geprägt von feinsinnigen musikalischen Reflektionen, die einfach austreiben dürfen. Ein weiteres Andante nimmt den Charakter einer Elegie an, ohne dass sich der tragische Tenor vertiefen muss. Bei Beethovens »Presto« überrascht dann nach dem dramatischen Aufruhr an Akkorden unmittelbar ein heiterer Galopp, während die E-Dur-Bagatelle (nämlich der erste Satz der Klaviersonate op.109) wie eine Einladung für zwei melodische Stimmen klingt, die eine Zeit miteinander verbringen und sich dabei für Momente wie Echostimmen begegnen.
Aus Franz Schuberts Todesjahr stammen die drei Preziosen, die Gerrit Zitterbart anstelle der vertrauten Impromptus seinem Publikum zum musikalischen Neujahr im Clavier-Salon entdecken wollte. Wieder erfolgt der Hinweis auf den disparaten Charakter der Stücke und die fehlende Stringenz, was ähnlich wie bei Beethoven auf spontan und impulsiv kontrastierende Klangskizzen deutet, die in diesen nachgelassenen Klavierstücken ihre faszinierende Wirkung entfalten.
Wieder ist es ein Aufruhr unterschiedlichster Klangfarben und Stimmungen, die enthusiastisch ausschwärmen, um dann in kontemplativen Regionen zu verweilen und erneut auszuschwärmen. Ein meditatives Andante kann mit harmonischen Wohlklängen verschmelzen und eine unerwartet feierliche Stimmung heraufbeschwören und die dramatische Emphase unmittelbar in eines dieser Klangbilder einfließen, mit denen Schubert seine tragischen Sehnsuchtsträume musikalisch verwebte.