Presse 2020

 

Göttinger Kulturkalender August 2020

Vom Befugten und vom Liedermacher
«Mozart zum Kugeln»: neues Programm mit Gerrit Zitterbart und Klaus Pawlowski


Mit einem neuen Programm präsentieren Gerrit Zitterbart und Klaus Pawlowski ihre gemeinsamen Abende im Göttinger Clavier-Salon. „Mozart zum Kugeln“ klingt schon in der Ankündigung sehr vergnüglich.
Und so ist dann auch der Abend ein wunderbares Vergnügen: noch mehr als bei "Tea for Two" sind Texte des Satirikers Pawlowski und die Musik, gespielt vom Pianisten Zitterbart, aufeinander abgestimmt. Im neuen Programm werden acht Komponisten vorgestellt: Pawlowski charakterisiert den Komponisten augenzwinkernd, seine Texte in Reimform werden durch kurze Musikzitate ergänzt. Am Ende jedes Portraits steht beispielhaft ein kurzes Werk des Komponisten.
Acht Komponisten - und bei wem fängt man an? „Natürlich mit Johann Sebastian Bach,“ schmunzelt Gerrit Zitterbart. „Er hat in seinem Leben für viel Anfang gesorgt - weil er so viele Präludien geschrieben hat!“ Gesagt, getan: Pawlowski stellt den Barock-Komponisten als den „Befugten“ vor: „Er war der Spalten-Visionär, der durch und durch Befugte. Wenn unter eine Fuge her mal ein Motettchen lugte, schliff er es weg, behutsam zwar, doch immer etwas grimmig, bis seine Fuge fügsam war, und kontrapunktisch stimmig.“
Pawlowskis Texte, gespickt mit allerlei Wahrheiten und vielleicht der einen oder anderen kleinen Unwahrheit, erzeugte immer wieder für Lacher im ausverkauften Salon. Das setzte sich bei den anderen Komponisten fort.
Aber immer wieder trug auch Gerrit Zitterbart mit spannenden Informationen zum Gelingen des Abends bei: Zu Mozarts Aufenthalt als Achtjähriger in London berichtete Zitterbart von dem Reiseclavichord, das der junge Komponist kennengelernt hat - und präsentierte auf dem Squarepiano aus London das Klavierstück F-Dur KV 33b, das Mozart im Alter von 10 Jahren komponiert hatte. Pawlowski beschreibt in seinem Mozart-Text dessen „göttliches Gehör“: „Mein Fazit: Mozart schenkt den Ohren ach so schöne serail-liche Entführungen und Zauberflöten-Töne. So prall wie eine Hochzeit, findet auch mein Figaro. Und Musiker wie Gerrit macht er ganz fidelio. Fidelio ist nicht von Mozart? Ist von Ludwig van? Sie mal einer an.“
Damit war die Überleitung zu Beethoven gelungen. In den „neun erhabenen Momenten“ wurden die Sinfonien durchdekliniert, am Ende gab es Musik aus dem Albumblatt a-Moll WoO 59 auf dem Flügel nach Anton Walter (Wien 1795).
Und so ging es weiter: vom „Liedermacher“ Franz Schubert, Felix Mendelssohn-Bartholdy („der Vielgereiste“), Robert Schumann und seinem Erlkönig, vom Bart von Johannes Brahms und von dem schönen Claude Debussy. Bei den Recherchen für das Programm fand Pawlowski sogar einen eigenen Liedtext von Schubert: „Sah ein Knab ein Rösslein stehn, Rösslein auf der Weide. War so stark, so stolz, so schön…“ Wegen der Ähnlichkeit zu Goethes Text habe Schubert dann doch Abstand von der Vertonung des eigenen Textes genommen.
Diese Version gab es am Ende doch noch zu hören: die beiden schmunzelnden Künstler trugen diese Uraufführung vor - und man merkte ihnen an, dass sie enorm viel Spaß daran und am gesamten Programm hatten.
Das hat mit 60 Minuten genau die richtige Länge. Und wer vielleicht noch den einen oder anderen Komponisten vermisst hat - der muss auf die Nach-Coronazeit warten. Dann kann das komplette Programm mit einer regulären Pause präsentiert werden.
Jens Wortmann
 

Göttinger Kulturkalender Juli 2020

Das englische Klavier

 Abschiedskonzert mit dem Flügel von Robert Wornum


Auch das gehört zu einem Claviersalon: um Platz zu schaffen, auch Platz für neue Instrumente, muss man sich bisweilen von einem Instrument verabschieden. Und so galt es jetzt, von dem Flügel von Robert Wornum (London, 1845) Abschied zu nehmen. Gerrit Zitterbart tat dies in seinem Claviersalon mit einem Abschiedskonzert.
Auf dem Programm standen Werke, die zur Entstehungszeit des Flügels passen: 1845 - das ist die Blütezeit der Romantik. Und so hat Zitterbart ein wunderbares romantisches Konzertprogramm zusammengestellt. Den Anfang machte der englische Komponist John Field - drei Nocturnes eines englischen Komponisten auf einem englischen klavier. Und bereits da wurde deutlich, wie schön diese Musik auf dem Klavier mit seiner kompülexen Bauart und der oberschlägigen Mechanik klingt: die Hämmer, die normalerweise von unten an die Saiten geschlagen werden, tun dies bei dem von Robert Wornum hier von oben. "Wornum würde man heutzutage als Freak bezeichnen", erläuterte Zitterbart. "Er hat unglaublich viel herumexperimentiert, wollte die Klavier immer weiter verbessern."
Eine spannende Entdeckungsreise folgte zu einigen Komponistinnen der Romantik: Delphine von Schauroth, von Mendelssohn sehr verehrt und die Erfinderin der Bezeichnung „Lied ohne Worte“; Clara Wieck (später Schumann), Louise Farrenc und Fanny Hensel (geborene Mendelssohn). Allen gemeinsam ist ihr großes Talent, das sie wegen ihres Geschlechts nicht ausbauen konnten.
„Lieder ohne Worte“ gab es von Felix Mendelssohn Bartholdy. In den wunderbaren „Venetianischen Gondelliedern“ ließ Zitterbart die Fahrt auf den Kanälen der Lagunenstadt zum Klingen bringen. „Und in jedem Knopfloch ließ Mendelssohn noch mindestens eine Träne erklingen“, führte er mit Worten, aber eben auch musikalisch aus.
„Dvořák ist für diesen Flügel eigentlich ein bisschen zu spät geboren“, meinte Zitterbart, um dann aber ohne zu zögern, unter anderem die berühmte Humoreske Nr. 7 (B 138) zu spielen.
Und auch die Musik von Franz Liszt passt hervorragend zu diesem vollen, warmen Klang des englischen Klavieres. Zumindest die späteren Werke. „Während Liszt in seinen frühen Kompositionen gar nicht genug Noten unterbringen konnte - wo noch ein Finger frei war, wurde noch ein Lauf eingefügt - wurde er in seinen späteren Werken immer karger. Und so erklangen mehrere dieser späten Werke, wie zum Beispiel das „Wiegenlied“ oder „Am Grabe Richard Wagners“.
Was wäre die romantische Klaviermusik ohne Frédéric Chopin? Natürlich darf diese Musik nicht fehlen. Nach drei Walzern wurde der Flügel von Robert Wornum aus dem Jahr 1845 mit dem Fantaisie-Impromptu in cis-Moll op. 66 gebührend verabschiedet.
Anschließend wurde das gute Stück sorgsam verpackt, um am nächsten Tag seinen vermutlich letzten Gang in ein Museum anzutreten. „Ich habe das Instrument einfach zu wenig genutzt“, meinte Gerrit Zitterbart. Aber dennoch war dies auch ein emotionaler Moment.
Jens Wortmann

Göttinger Tageblatt Januar 2020

Unerhörte Klänge auf historischen Instrumenten
Neujahrskonzert mit Gerrit Zitterbart zum Thema Beethoven


Gerrit Zitterbart zwischen dem Wiener Flügel von 1825 (links) und dem Nachbau eines Anton-Walter-Flügels von 1795

Das Beethoven-Jahr 2020 hat der Pianist Gerrit Zitterbart am Mittwoch mit einem themagerechten Neujahrskonzert eingeleitet. Im gut besuchten Clavier-Salon am Stumpfebiel stellte er den rund 60 Besuchern Werke von Beethoven an drei historischen Instrumenten vor.

Gut zwei Stunden Musik umfasste sein abwechslungsreiches Programm, von liebenswürdig bis pathetisch, von gefälligen Stücken mit geringerem technischen Anspruch bis hin zu ausgewachsener Virtuosenkunst in den drei populären Sonaten, die inhaltlich die Schwerpunkte setzten: die „Pathétique“ op. 13, die Sonata quasi una fantasia op. 27 Nr. 2, die unter dem Namen „Mondscheinsonate“ geläufig ist, und die dem Grafen Waldstein gewidmete Sonate C-Dur op. 53, die deshalb auch gern „Waldstein-Sonate“ genannt wird.

Aufgelockert war die Vortragsfolge von vier Stücken, die nur selten bis nie im Konzertsaal zu hören sind. Den Anfang machten die frühen Variationen über die Arie „Nel cor più non mi sento“ von Paisiello, gefolgt von der leichtgewichtig-liebenswürdigen Sonatine g-Moll op. 49 Nr. 1, dem Albumblatt a-Moll mit dem volkstümlichen Namen „Für Elise“ - wobei dieser Titel möglicherweise auf einen Lesefehler der etwas krakeligen Schrift Beethovens zurückgeht.

Sozusagen als Vorwort zur „Waldstein-Sonate“ schließlich diente das „Andante favori“, das ursprünglich als langsamer Satz eben dieser Sonate fungierte, der übergroßen Gesamtlänge wegen aber von Beethoven später aus der Sonate entfernt und als Einzelstück veröffentlicht wurde.

All diese Informationen lieferte Zitterbart in seiner kundigen, unterhaltsamen Moderation und erläuterte auch die Entwicklungen im Klavierbau, mit denen sich Beethoven im Laufe seines Lebens auseinandersetzte. Weil Zitterbart genau solche Instrumente in seinem Salon aufgestellt hat, konnten die Zuhörer diese Erläuterungen gleich hörend nachvollziehen.

Die Paisiello-Variationen präsentierte er auf einem 1802 gebauten englischen Tafelklavier von John Broadwood, etwas gewöhnungsbedürftig in seinem vergleichsweise zart-dünnen Klang, dafür aber mit einer klaren Linienzeichnung, die im Sound des modernen Flügels vom Filz der Hammerköpfe gleichsam aufgeweicht wird.

Deutlich anders strukturiert ist der Klang des Anton-Walter-Hammerflügels, ein Nachbau nach einem Original von 1795: Auf diesem Instrument wirkt die fast gleichzeitig komponierte Pathétique viel heller, nicht so dumpf-titanisch, wie wir es von heutigen Konzertflügeln gewöhnt sind. Auch die „Mondscheinsonate“ profitiert erheblich von dem silbrig-transparenten Ton des Walter-Flügels, die Musik hat weniger Bodenhaftung, kann durchaus auch einmal schwerelos im Raume schweben.

Für das Andante favori und die Waldstein-Sonate wählte Zitterbart zum Schluss einen Wiener Flügel von 1825, dessen Erbauer nicht überliefert ist. So ähnlich dürften Beethovens Zeitgenossen diese Musik kennengelernt haben – die hörbar gemachte Rückbesinnung auf diese „unerhörten“ Klänge rückt das von der späteren Romantik geprägte Beethoven-Bild zurecht.

Die Konturen dieser in Teilen äußerst anspruchsvollen Musik zeichnete Zitterbart sehr klar nach, auch wenn hier und da Kleinigkeiten nicht ganz korrekt waren. Viel wesentlicher aber ist es, wie konsequent der Pianist die Beethovenschen Ausdruckseigenheiten gestaltet, mit welcher punktgenauen Präsenz er Akzente setzt, Kontraste schärft, die Entschlossenheit und Kraft des Komponisten in seinem Spiel widerspiegelt, dem man auch seine jahrzehntelange Erfahrung in der Ausbildung des pianistischen Nachwuchses immer wieder anmerkt. Am Ende gab es lang anhaltenden, begeisterten Applaus - und keine Zugabe, was nach einem derart kräftezehrenden Programm durchaus nachvollziehbar ist.

Michael Schäfer