Presse 2017
Göttinger Tageblatt April 2017: Eröffnung der ClavierTage 2017 (Beethoven Klavierkonzerte 1)
Göttinger Kulturkalender Dezember 2017
Kontrastreiches Spiel
Ein Wiedersehen mit einer hier aufgewachsenen Musikerin gab es am Donnerstag. Die in Göttingen geborene Geigerin Yü-Yen Li kam zu einem Kammermusikabend in Gerrit Zitterbarts Clavier-Salon, vom Hausherrn begleitet bei Musik von Beethoven und Brahms.
Ihre musikalische Karriere startete Yü-Yen Li schon während ihrer Schulzeit am Max-Planck-Gymnasium mit zahlreichen Erfolgen beim Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“, die Ende der 1990er-Jahre gekrönt wurden durch erste Preise bei zwei Bundeswettbewerben. Ausgebildet zunächst von Stefan Czermak in Hamburg und Zakhar Bron in Lübeck, studierte sie bei Ruggiero Ricci an der Universität Mozarteum in Salzburg. Sie war die letzte Schülerin, die der 2012 gestorbene amerikanische Virtuose noch angenommen hatte. Später setzte sie ihre Ausbildung bei Salvatore Accardo in Cremona fort. Etliche Preise, etwa beim Internationalen Violinwettbewerb Sion-Valais und der Académie de Musique de Lausanne, bezeugen ihren hohen Leistungsstand. Neben der musikalischen Ausbildung absolvierte sie ein Masterstudium in Philosophie an der Universität Salzburg. Vor längerer Zeit gastierte sie als Solistin in einem Konzert des Göttinger Symphonie-Orchesters, seitdem war sie in Göttingen nicht mehr zu hören. Derzeit lebt sie in Göttingen und Berlin.
Den Abend im ausverkauften Clavier-Salon eröffnete sie mit Beethovens Violinsonate F-Dur op. 24, der „Frühlingssonate“. Hier wie auch in Beethovens Violinsonate G-Dur op. 30 Nr. 3 harmonierte sie prächtig mit ihrem Klavierpartner Zitterbart. Der hatte für diese Sonaten das passende Instrument gewählt: einen Hammerflügel nach Anton Walter 1795, der historisch perfekt zu den fast zeitgleich entstandenen Beethoven-Sonaten passt. Mit seinem zupackenden, energischen Interpretationsstil konnte Zitterbart das Temperament der Geigerin gehörig anstacheln. Sehr kontrastreich bewegte sich das Spiel des Duos zwischen dramatischen Höhepunkten, ausdrucksstarken lyrischen Momenten und tänzerischer Beschwingtheit.
Doch die eigentliche Domäne der Violinistin liegt in der Musik der Romantik, wie Yü-Yen Li in der zweiten, Johannes Brahms gewidmeten Hälfte des Abends bewies, für die Zitterbart einen Bechstein-Flügel von 1890 ausgesucht hatte. Das impulsiv voranstürmende frühe c-Moll-Scherzo aus der 1853 entstandenen, gemeinsam von Schumann, Albert Dietrich und Brahms komponierten „F.-A.-E. Sonate“ war die Ouvertüre zur späten d-Moll-Sonate op. 108 von Brahms, in der Yü-Yen Li ihren beseelten, wunderbar singenden, großen Ton breit strömen lassen konnte. Der romantische Überschwang blieb stets präzise kontrolliert, ohne seine Spontaneität preiszugeben, die Bandbreite reichte von verhaltenen, ganz zurückgenommenen, berührenden leisen Passagen bis hin zu leidenschaftlich emotionalen Ausbrüchen.
Darauf reagierten die Zuhörer mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus. Zum Dank gab es eine ganz bezaubernde Zugabe: die Berceuse op. 16 von Gabriel Fauré.
Michael Schäfer
Göttinger Kulturkalender Juni 2017
Clavier-Salon: Liederabend mit Ju-Hyeon Lee und Jürgen Orelly
Jürgen Orelly hat es an diesem Abend einfacher: Sein Instrument, die Bassstimme, ist nun einmal „fest installiert“. Ju-Hyeon Lee wechselt hingegen mit jedem der drei Komponisten (R. Schumann, O. Schoeck, C.M. v. Weber) zum zeitlich jeweils passenden Instrument. Regelmäßigen Besuchern des Clavier-Salons fällt dieser Luxus – Klaviere in ihrer Vielfalt zu erleben - vielleicht gar nicht mehr auf?
Klug disponiert haben die beiden Protagonisten zuallererst ihr Programm: Die hauptsächlich strophisch, nicht frei komponierten 9 Lieder Webers (entstanden zwischen 1809 und 1818, Texte verschiedener Dichter & Volksmund) bilden die zweite Hälfte. Ihr Tonfall ist grundsätzlich heiter. „Der kleine Fritz an seine jungen Freunde“, „Reigen“ und „Mein Schatzerl is hübsch“ sind gar komische Opern en miniature. Das „Schatzerl“ gibt sich als ‚Walzer featuring Hofbräuhaus’, und mit der nötigen Unernsthaftigkeit setzen die Beiden das Lied in Szene. Aufgedreht, ausgelassen, doch nie über jene Grenze, die es lächerlich machen würde. „Ich sah ein Röschen am Wege stehen“ sowie der Zugabe „Wunsch und Entsagung“ steigern die Ironie noch weiter - man kann dem Komponisten zur Textauswahl nur gratulieren. Die Klavierbegleitung – hier noch eher Begleitung der Singstimme als eigenständiger Partner – ist derart unaufdringlich gespielt, dass die wenigen eigenständigen Momente des Klavierparts umso eindrucksvoller wirken. „Wunsch und Entsagung“ könnte im übrigen Titelmusik sämtlicher Dating-/Kuppelshows werden.
Vom Schweizer Othmar Schoeck (1886-1957) stammt der Liederblock (9 Werke) unmittelbar vor der Pause. Der Flügel von 1898 trägt die zwischen 1905 und 1915 entstandene Musik in den sehr gut besuchten Clavier-Salon. Und was für wundervolle Lieder lassen sich hier finden! Beim ersten Hören sind „Frühlingsgrüße“ (Text: Uhland) sowie „Dämmerung senkt sich von oben“ (Goethe) der verheißungsvolle Einstieg. Ganz spätromantisch in Gestus und Harmonik, von unterirdisch brodelnder Sehnsucht erfüllt. Dass Schoeck u.a. kurz bei Max Reger lernte, lässt sich gleichwohl hier nur erahnen. „Ravenna“ (H. Hesse) schlägt unvermittelt völlig andere Töne an: Die Trostlosigkeit des Gedichts wird vom parlando der Stimme über leer sich drehender, bewusst altmodischer Musik kongenial überhöht. „Das Ziel“ (ebenfalls Hesse) nimmt deutlich Anleihe bei Schuberts „Leiermann“, doch ins Positive, Friedvolle gedreht. In den drei Liedern zuvor zeigt Schoeck sich moderner, radikaler. Das sperrige, farcehafte „Unmut“ sowie das verrätselte „Höre den Rat, den die Leier singt“ (beide nach Goethe) verdienen ein zweites und drittes Hören.
Abgedruckt sind die Liedtexte im kleinen Programmblatt nicht – es war auch nicht nötig. Jürgen Orelly Artikulation lässt an Deutlichkeit und Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ganz gegen das von-Logau-Wort vom Mittelweg gefällt sein mittleres Register mit Wärme und Kraft am besten. Der Registerwechsel nach oben gelingt nicht immer ohne Rauheit, doch stets trägt der äußerst lebendige, glühende Vortrag darüber hinweg. Ju-Hyeon Lee und er haben sich auf die akustischen Gegebenheiten im Salon ideal eingestellt. Schumanns „An meinem Herzen, meiner Brust“ sprengt mit seiner Lautstärke, mit der Intensität des Vortrags beinahe den Raum. Aber eben nur beinahe. Den Gegenpol, Zartheit bis ins Verlöschen, beherrschen sie gleichfalls. Besonders in den Nachspielen der Schumannlieder gelingt dies Frau Lee auf das Feinste. Überhaupt sollte es eine CD nur mit Schumannliedernachspielen geben... (Kein Affront gegen die Sänger).
Schumanns „Frauenliebe und –leben“ op.42 (1840) eröffnet den Abend. Adelbert von Chamissos Text schildert in neun Gedichten – das letzte wurde von Schumann nicht vertont – die Lebensstationen einer Frau; mit den üblichen Verdächtigen ‚erste Liebe bis zum Ehemanntod’. Allzu überzeugend ist die Textvorlage nicht gerade – aber bereits beim ersten Lied, Takt 4, zu „blind zu sein“, ist das vergessen. Der schmelzende Vorhalt dort ist derart betörend komponiert wie gesungen/gespielt(!), dass Textexegese drittrangig wird. Dankenswerterweise kommt die Stelle noch mehrmals vor. Im Klavierpart gefällt besonders jener, meist in Achteln gesetzte, Klangteppich, der traumhaft sicher die Singstimme stützt. Bei Weber noch als recht konventionelles Mittel eingesetzt, wird es hier zum innigen Kern der Musik. Das ist zudem wunderbar gespielt und wird durch den Érard-Flügel (1886) wundervoll unterstützt. „Der Ring an meinem Finger“ gewinnt durch das parallele Führen von rechter Klavierhand/Stimme einen eigenartigen Zauber. Den beiden gelingt es, trotz des nötigen Transponierens von mittlerer Frauenstimme auf Bass, diesen Zauber zu erhalten. „Helft mir, ihr Schwestern“ perlt im Klavier dermaßen quecksilbrig dahin, dass man für die eingeschobene Verzögerung bei „Wehmut“ dankbar ist. Es verginge sonst allzu rasch.
Zuletzt der drastische Einbruch beim abschließenden „ersten Schmerz“ – ein letzter, extremer Stimmungswechsel, welcher den beiden Interpreten ebenso wohl gelingt, wie die anderen davor und danach. Die Musik endet versöhnlicher als der Gedichtzyklus. Nicht nur lässt Schumann das letzte Lied unvertont – seine Noten kehren mit verlängertem Nachspiel zur Idylle des Anfangs zurück: Wiederholen, erweitern das Ende des allerersten Liedes zu innigem Schluss.
Reichhaltiger Applaus jetzt, vor der Pause und zum Konzertende. Leider gab es nur eine Zugabe.
Björn Steinhoff
Göttinger Tageblatt Juni 2017
Aus der Vergessenheit geholt
Komponieren scheint eine Domäne von Männern zu sein. Aber der Schein trügt. Wie die Musikstudenten am Sonntag belegten, gibt es zahlreiche Komponistinnen, die kaum bekannt sind, die aber doch bedeutende Klavierwerke geschaffen haben. Diese wurden aus der Vergessenheit geholt und den rund 25 Gästen vorgetragen.
Vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht die Auswahl. Jedem Musikstück vorangestellt gibt es eine kurze Einführung zu Leben und Werk. Dazu unterstreicht der Wechsel an den Instrumenten die Vielfalt und Bandbreite.
Mit dem Walzer Valse brillant op.48 von Louise Farrenc eröffnet Giran Jung. Die französische Pianistin, Komponistin, Professorin für Klavier sowie Zeitgenossin von Schumann und Chopin habe „einen eigenen klassisch-romantischen Kompositionsstil entwickelt, dem man ihre Liebe und profunde Kenntnis der Musik Haydns, Mozarts und Beethovens anhört und der auch von ihrer Erforschung der Alten Musik beeinflusst ist“. Mal zart verspielt, mal druckvoll präsent, lässt Jung den kokett hüpfenden Walzer schwelgen.
Weiter geht es mit der österreichischen Pianistin, Sängerin und Komponistin Maria Theresia von Paradis (1759-1824), die seit früher Kindheit blind war. Im Wiener Musikleben sehr prominent und mit bedeutenden Vertretern der Wiener Klassik wie Haydn und Mozart bekannt, ging die Musikerin auf eine mehrjährige Europatournee. Das kompositorische Werk (Opern, Singspiele, Klavierkonzerte) sei bislang wenig erforscht. Berit Coenders (Violine) und Lanxi He (Klavier) lassen „Sicilienne“ in hoffnungsvoller Traurigkeit schwebend erklingen.
Elegant präsentiert Lanxi He danach die Sonate Nr. 2 A-Dur von Marianna Martinez, geradlinig treibend und zunehmend berührend. Als 17-Jährige trat Martinez, die auch von Joseph Haydn unterrichtet wurde, erstmals als Komponistin auf. Eine ihrer Messen fand allgemeine Anerkennung. Ihre Klaviersonaten in E-Dur und A-Dur wurden 1760 in einer Anthologie des Musikverlegers Johann Ulrich Hafner veröffentlicht. Dies galt als bedeutender Qualitätsbeweis.
Verträumt, perlend, tief tönend: Einen Sprung in moderne Klangwelten unternimmt Ju Hyeon Lee mit „d‘un jardin clair“ von Lili Boulanger (1893-1918). Diese fasste mit 16 Jahren den Entschluss, Komponistin zu werden und, wie zuvor ihr Vater Ernest, den Grand Prix de Rome zu gewinnen. Es gelang ihr 1913, als erster Frau.
Das „Lied ohne Worte“ von Delphine von Schauroth bringt Prof. Gerrit Zitterbart, eine Studierende vertretend, zu Gehör. Die „bildhübsche Frau und hervorragende Pianistin“ sei einst von Felix Mendelssohn Bartholdy „sehr angebetet“ worden. Als eine der wichtigen Namensgeberin der Musikgeschichte der Romantik habe sie als Erste den Begriff „Lied ohne Worte“ erfunden.
Voller Hingabe, körperlich betont und mit sprechender Mimik, spielt Richard Schwennicke den „Juli“ aus dem Jahreszyklus von Fanny Mendelssohn-Hensel, der älteren und „nicht weniger begabten“ Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Und prominent geht es weiter mit Clara Schumann, die bei ihrer ersten Veröffentlichung als Komponistin elf Jahre alt war. Souverän präsentiert Qian Huang die selbstbewusste Prélude Nr 2.
Sich gegenseitig in den Klangfarben ihrer Instrumente unterstreichend, tragen Berit Coenders (Violine) und Alvyda Zdaneviciute die Musikstücke „Romance & Bohemienne“ (Aus six morceaux) der Komponistin, Pianistin und Opernsängerin Pauline Viardot vor. Einst von Franz Liszt unterrichtet, studierte sie Komposition bei Anton Reicha, der auch der Lehrer von Liszt und Hector Berlioz war.
Konzentriert und mit großer Klarheit berührt Anna Katharina Schilling mit der „Solitude op.127“ von Cecille Chaminade (1857-1944). Diese spielte im Kindesalter Georges Bizet eigene Werke vor, der von ihrem Talent sehr beeindruckt war und sie „mein kleiner Mozart“ nannte.
Vielschichtig perlend und fantasievoll präsentiert Kaja Nieland das um 1925 komponierte „Melisande“ von Mel Bonis. Die familiären Verpflichtungen erlaubten es der Mutter von vier Kindern, die am Pariser Konservatorium studierte, erst ab etwa 1900, sich verstärkt „ihrer eigentlichen Leidenschaft“ zuzuwenden. Ihr Werk umfasst etwa 300 Kompositionen.
Einen bemerkenswerten Schlusspunkt setzt Chantelle Nassiopulos mit „Préludes Nr.10-12“ von Lera Auerbach. Die in den USA lebende, 1973 in Russland geborene Komponistin und Pianistin hat ihr Konzertexamen an der Musikhochschule Hannover abgelegt. „Ihr Stil ist ganz speziell.“ Traditionelle mit modernen Elementen verbindend, versuche sie, dem Klavier ganz besondere Klangfarben zu entlocken.
Karola Hoffmann
Göttinger Tageblatt März 2017
Nachdruck, Charakter und Attraktivität
Elisabeth Kufferath mit zeitgenössischer Musik im Clavier-Salon
Ein höchst anspruchsvolles Programm unter dem Titel „Libero, fragile“ hat die Violinistin und Bratschistin Elisabeth Kufferath im Göttinger Clavier-Salon vorgestellt. Erläuternde Worte dazu steuerte Komponist Jan Müller-Wieland bei.
Ein Solo-Streicher-Konzert im Clavier-Salon, mitten zwischen Salonchef Gerrit Zitterbarts wohlgehüteten Flügel-Schätzchen – das mag auf den ersten Blick ein wenig fremd wirken. Und das taten möglicherweise auch die zeitgenössischen Stücke, die Kufferath und Müller-Wieland aufs Programm gesetzt hatten. Neben Werken von Müller-Wieland selbst gab es eine Auswahl von Luciano Berio, György Kurtág und Elliott Carter zu hören. Allesamt Stücke mit hohen technischen Anforderungen an die Interpretin und klanglichem Anspruch an das Publikum. Kein klassischer Wohlfühlabend also, und daher wohl leider auch nur für rund 20 Gäste Grund genug für den Weg in die Innenstadt.
Umso überzeugender aber war, was Kufferath zum Besten gab. Technisch brillant und im stetigen komplizierten Wechsel zwischen Violine und Bratsche ganz leichtfüßig unterwegs, schaffte sie es, den zunächst wenig vertrauten Klängen Nachdruck, Charakter und Attraktivität zu verleihen.
Ein „polyphones Geflecht“ bescheinigte Müller-Wieland Berios „Sequenza VIII für Violine“. Und klanglich hätte man in der Tat eher zwei oder mehr Geigen beim gleichzeitigen Spiel erwartet, nicht aber nur eine, der eine Künstlerin solche Klangbandbreite entlockt. Nicht nur die Komplexität beherrschte Kufferath. Auch in Müller-Wielands „Himmelfahrt“, einem eigens für Kufferath komponierten Werk, brillierte sie in Wechsel zwischen harten, bodenständigen und sphärisch-leisen Bratschenklängen.
Isabel Trzeciok